Nds. Landesarchiv, Abt. Wolfenbüttel > Staatsanwaltschaften

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Beschreibung: Gliederung (Tektonik)

Identifikation (Gliederung)

Titel 

Staatsanwaltschaften

Kontext

Geschichte des Bestandsbildners 

Im Rahmen der Reichsjustizreform von 1879 wurden unter der Bezeichnung Staatsanwaltschaft (StA) vom Gericht unabhängige einheitliche Behörden ohne kollegiale Verfassung geschaffen. Sie sollten in Strafprozessen als Strafverfolgungs- und Anklagebehörde agieren, d.h. ihre Tätigkeit aufnehmen, wenn gerichtlich strafbare und verfolgbare Handlungen vorlagen. Auch stand ihnen die Strafvollstreckung zu und zeitweise die Aufsicht über das Gefängniswesen.

Bis heute verdanken die Staatsanwaltschaften ihre organisatorische Form im Wesentlichen dem Gerichtsverfassungsgesetz des Deutschen Reiches vom 27. Januar 1877. Dieses trat 1879 in Kraft und bildete auch in der Bundesrepublik Deutschland die Grundlage für das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vom 12. September 1950. Demnach sind Staatsanwaltschaften (StA) eigenständige, vom Gericht unabhängige und hierarchisch aufgebaute Justizbehörden (§§ 146, 150 GVG). Staatsanwälte hingegen sind als Beamte weisungsgebunden (§ 146 GVG), d.h. sie unterstehen der Dienst- und Fachaufsicht durch Vorgesetzte (§ 144, 147 GVG). Diese wird für die Staatsanwälte bei den Landgerichten vom Generalstaatsanwalt wahrgenommen, der wiederum direkt dem Landesjustizminister als höchster Instanz für alle Staatsanwälte eines Bundeslandes untersteht (§ 142 Abs. 1 Nr. 2, § 147 GVG).

Rechtliche Grundlage für die Arbeit der StA bilden das GVG vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), in den §§ 141-152, und die Strafprozessordnung (StPO). Durch beide werden sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben als Ermittlungs-, Anklage- und Vollstreckungsbehörden mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet.

Die StA bildet ein wichtiges Element rechtsstaatlicher Strafrechtspflege. Sie ist für die Leitung von Ermittlungsverfahren zuständig ('Herrin des Ermittlungsverfahrens') und tritt als Anklagebehörde auf, die – mit Ausnahme von Privatklagedelikten – allein dazu befugt ist, wegen einer Straftat Anklage beim Strafgericht zu erheben und ein Strafverfahren anzustoßen. Sie ist die Vertretung der Anklage und sorgt im Erwachsenenstrafrecht nach einem Urteil für die Strafvollstreckung. Ein weiteres Aufgabengebiet der StA liegt im Gnaden- und im Entschädigungsverfahren.

Bei ihrer Tätigkeit unterliegt die StA dem Legalitätsprinzip. Somit ist sie aufgrund ihrer Monopolstellung zur Verfolgung aller strafbaren Handlungen verpflichtet, vorausgesetzt es liegen konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vor. Zu diesem Zweck ist sie dazu befugt, von allen Behörden Auskünfte einzuholen und entweder selbst oder mittels der Polizei Ermittlungen jeder Art vorzunehmen (z.B. Zeugenvernehmung, Hinzuziehung von Sachverständigen, Durchsuchungen von Räumlichkeiten und Beschlagnahmung von Gegenständen) (§ 161 StPO). Bei Todesfällen mit unnatürlicher oder ungeklärter Todesursache kann sie auch die Obduktion des Leichnams verfügen. Einer Ladung der StA müssen Zeugen, Sachverständige und der Beschuldigte Folge leisten (§ 161 Abs. 1, 163 Abs. 3 StPO).

Die StA ist bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens zu Objektivität gehalten, d.h. sie muss sowohl belastende als auch entlastende Umstände feststellen (§ 160 Abs. 2 StPO). Des Weiteren ist sie für die Rechtmäßigkeit des Verfahrens verantwortlich. Entsprechend verfügt sie bei der Führung der Ermittlungen über eine Sachleitungsbefugnis gegenüber den "Ermittlungspersonen", von der sie praktisch selten Gebrauch machen muss. Lediglich in komplexen oder umfangreichen Verfahren findet diesbezüglich eine enge Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei statt.

Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die StA darüber, ob ein "hinreichender Tatverdacht" vorliegt. Ist dieser gegeben, kommt es zur Anklageerhebung beim Gericht. Ist dieser nicht gegeben, wird das Verfahren eingestellt (§ 170 Abs. 2 StPO). Wird ein Verfahren durch die Anklageerhebung des StA mittels Einreichung der Anklageschrift beim zuständigen Gericht eröffnet (§ 170 Abs. 1 StPO), vertritt sie in der Hauptverhandlung die Anklage. Sie ist ebenso wie das Gericht dazu verpflichtet ist, eine umfassende Sachverhaltsaufklärung und ein gerechtes Urteil herbeizuführen. Gegen ein ergangenes Urteil kann sie Rechtsmittel ergreifen, d.h. Berufung (§ 312 StPO) oder Revision (§ 333 StPO) einlegen. Als Vollstreckungsbehörde ist die StA bei Erwachsenen mit der Einleitung und Überwachung der Maßnahmen betraut, die zur Durchführung von Urteilen und gleichstehenden Entscheidungen erforderlich sind (§ 451 StPO).

Darüber hinaus existieren zur Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen sogenannte Zentralstellen oder Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Dort sind die strafprozessualen Zuständigkeiten gebündelt und werden über die Grenzen des eigenen Geschäftsbereichs wahrgenommen (§ 143 Abs. 4 GVG).

Die elf StA des Landes Niedersachsen unterstehen organisatorisch Generalstaats-anwaltschaften: die StA Braunschweig und Göttingen der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, die StA Bückeburg, Hannover, Hildesheim, Celle, Verden sowie Stade der Generalstaatsanwaltschaft Celle und die StA Aurich, Oldenburg und Osnabrück der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg. Ihre örtliche Zuständigkeit entspricht dabei den Bezirken der Landgerichte, denen sie jeweils zugeordnet sind.

Stand: 1. Juli 2015

Literatur 

Rüping, Hinrich: Die Geburt der Staatsanwaltschaft in Deutschland, in: Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1992, S. 147-158.

Wohlers, Wolfgang: Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, Berlin 1994.

Heghmanns, Michael: Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 4. Auflage, Köln 2009.

Carsten, Ernst Sigismund / Rautenberg, Erardo Cristoforo: Die Geschichte der Staatsanwaltschaft in Deutschland bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Beseitigung ihrer Weisungsabhängigkeit von der Regierung im Strafverfahren, 2. Auflage, Baden-Baden 2012.

Staatshandbuch: Die Bundesrepublik Deutschland. Niedersachsen. Handbuch der Landes- und Kommunalverwaltung mit Aufgabenbeschreibungen und Adressen. Köln u.a. 2014.

Collin, Peter: Die Geburt der Staatsanwaltschaft in Preußen (12. März 2001), in: Forum historiae iuris (Stand: 16. Juni 2015)

Portal der nds. Staatsanwaltschaften

Bearbeiter 

Regina Schleuning (2015)